Wie hoch ist das Risiko, entlassen zu werden
Written by VP on Mai 2, 2024 in Entlassungen

Nach der Covid-Krise dominiert der Fachkräftemangel die Nachrichtenseiten, Stellenabbau und Entlassungen waren entsprechend selten. Doch im letzten Halbjahr haben Medienmitteilungen zum Thema Stellenabbau signifikant zugenommen, was auch in einer generellen negativen Stimmung zum Ausdruck kommt (vgl. u. a. die rekordtiefe Konsumentenstimmung). Diese negative Stimmung zeigt sich nun auch im Stellenabbau-Indikator. Aktuell gehen die Entlassungsankündigungen durch die Decke – wie noch nie, seit es diesen Indikator gibt. Die Anzahl der entlassenen Mitarbeiter und die von Stellenabbau betroffenen Firmen haben sich im 4. Quartal 2023 im Vergleich zum gleichen Quartal des Vorjahres mehr als verzehnfacht. Das hat zur Folge, dass immer mehr Schweizer Mitarbeiter das Entlassungsrisiko als real wahrnehmen.

Unterschiedliche Arbeitsplätze sind unterschiedlich sicher, die Branchen verschieden volatil und konjunktursensitiv. Die Frage, wie man feststellen kann, ob einem ein hohes Entlassungsrisiko droht, scheint in letzter Zeit für viele Eidgenossen an Relevanz gewonnen zu haben. Spielt dabei das Alter, die Berufserfahrung oder die Ausbildung eine entscheidende Rolle? Und wie entscheiden Unternehmen bei einem Stellenabbau, wer als Erstes fliegt? Wir kombinieren die aggregierten Daten unseres Stellenabbau-Trackers mit bestehenden Studien zu diesem Thema.

Faktoren des Entlassungsrisikos

Faktoren des Entlassungsrisikos

Umgebungsbezogene Faktoren

Branche

Das Entlassungsrisiko wird von vielen Faktoren beeinflusst. Allerdings hängen sie nicht immer mit den Eigenschaften eines bestimmten Mitarbeiters zusammen. Ein gutes Beispiel dafür ist die Branchenzugehörigkeit. Jeder Konjunkturzyklus ist anders und beeinflusst bestimmt Branchen weniger oder stärker.

Ohne Berücksichtigung weiterer Faktoren sind aktuell die Beschäftigten in den Branchen «Chemie & Pharma», «MEM», «Tourismus» und «Finanzen» einem deutlich höheren Risiko von Entlassungen ausgesetzt im Vergleich zu anderen Branchen.

Umstrukturierungen im Unternehmen

Das Wirtschaftsklima in der Branche korreliert in der Regel wesentlich mit der Lage in einem konkreten Unternehmen. Doch das sind zwei unterschiedliche Paar Schuhe. Fusionen, Strategiewechsel, Schliessung von Standorten, Outsourcing im Unternehmen deuten auf eine instabile Situation hin und somit auf ein höheres Entlassungsrisiko für Mitarbeiter. Wenn Unternehmen bspw. ihre Konkurrenten übernehmen, neigen sie oft dazu, beim Personal Einsparungen vorzunehmen. Laut einer Erhebung von UNI-Europa wurden in den letzten zehn Jahren in Europa allein aufgrund von Fusionen und Übernahmen 130’000 Arbeitsplätze abgebaut, darunter in der Schweiz prominente Beispiele wie z.B.:

Entlassungen infolge einer Unternehmensübernahme - Restrukturierung

Arbeitsbezogene Faktoren

Arbeitsformat: Homeoffice vs Büro

Laut einem Bericht von «Bloomberg» ist die Wahrscheinlichkeit, entlassen zu werden, bei Fernarbeitern um 35 Prozent höher als bei ihren Kollegen im Office. Die Analysten vermuten, dass der Grund, warum Remote-Mitarbeiter eher entlassen werden, nicht primär bei Kosteneinsparungen liegt, sondern in der Stärke der aufgebauten persönlichen Beziehungen. Es ist anzunehmen, dass es einem Vorgesetzten einfacher fällt, eine Person zu entlassen, zu der man keine enge persönliche Beziehung hat.

Verhältnis des Entlassungsrisikos für Fernarbeiter vs Büroarbeiter
* Die Grafik zeigt das relative Risiko einer Entlassung. Das Risiko einer Entlassung von Büromitarbeitern dient als Basis für den Vergleich.

Branchenerfahrung

Die Erfahrung des Mitarbeiters in der Branche spielt für den Arbeitgeber bei der Entscheidungsfindung definitiv eine erhebliche Rolle. Mitarbeiter mit langjähriger Erfahrung und Fachwissen in einer bestimmten Branche generieren in der Regel mehr Umsatz und sind somit wertvoller für das Unternehmen. Diese Eigenschaft der Mitarbeiter ist besonders relevant geworden aufgrund des rekordhohen Fachkräftemangels in der Schweiz. Dies hat ein tieferes Entlassungsrisiko für die erfahrene Arbeitnehmende zur Folge.

Beschäftigungsdauer

Die Berufserfahrung und die Beschäftigungsdauer gehen Hand in Hand und sind sehr eng verbunden.  Mitarbeiter, die bereits lange im Unternehmen tätig sind und sich bewährt haben, könnten weniger gefährdet sein als neue Mitarbeiter oder solche mit einer kurzen Beschäftigungsdauer. Die Loyalität und das Engagement langjähriger Mitarbeiter könnten sie vor Entlassungen schützen.

Projekte und Aufgaben

Wenn Ihnen wichtige Projekte oder Verantwortlichkeiten entzogen werden oder Sie weniger in strategische Entscheidungen einbezogen werden, ist das ein Hinweis darauf, dass Ihr Beitrag nicht mehr geschätzt wird.

Leistungsbeurteilung

Versetzen Sie sich gedanklich in die Lage Ihres Arbeitgebers und fragen Sie sich, wen er lieber behält. Ihre Leistungsbewertungen oder zumindest ein kurzes Feedback von Ihrem Vorgesetzten über Ihre Leistung können die Gedanken des Arbeitgebers verraten. Eine schlechte Leistungsbewertung oder ein wiederholtes negatives Feedback sollten für Sie ein Warnsignal sein.

Personelle Faktoren

Alter

Der Zusammenhang zwischen dem Alter und dem Risiko einer Entlassung ist auf den ersten Blick nicht so klar. Oft werden Entlassungen von älteren Mitarbeitern auch nicht als solche deklariert, denn dies kann (rechtlich) als Diskriminierung angesehen werden und zudem negative Publicity hervorrufen. Das in der Bundesverfassung verankerte Diskriminierungsverbot erwähnt auch das Alter. Aus diesem Grund bleibt der wahre Zusammenhang zwischen dem Alter des Mitarbeiters und dem Risiko einer Entlassung oft verborgen. Tendenziell zeigen Studien, dass in der Tendenz die ganz jungen und wiederum die ältesten Mitarbeiter benachteiligt seien, schreibt Christoph Dieffenbacher von der Universität Basel. Der Anteil der über 55-Jährigen im Erwerbsleben ist in der Schweiz immer noch hoch. Wer jedoch in diesem Alter nach einer Entlassung auf der Strasse steht, bekundet grössere Mühe, wieder eine Arbeitsstelle zu finden und müssen bei den Lohnforderungen grössere Kompromisse machen.

Wie korreliert im Endeffekt das Alter mit dem Entlassungsrisiko? Leider gibt es darauf keine eindeutige Antwort. Simon Wey, Chefökonom des Arbeitgeberverbandes, liefert zu dieser Frage eine umfassende Erklärung: «In der Krise werden zuerst die Jüngeren auf die Strasse gestellt. Bei den Älteren warten die Firmen länger. Nach der Krise sind jedoch eher die Jungen gefragt. Ältere haben dann Schwierigkeiten, wieder eine Stelle zu finden.»

Gesundheitszustand

Der Zusammenhang zwischen dem Gesundheitszustand und dem Risiko einer Entlassung ist nicht immer direkt offensichtlich, auch weil schwierig zu messen. Doch wie kommt es beim Arbeitgeber an, wenn ein Arbeitnehmer aufgrund von gesundheitlichen Problemen häufig abwesend ist? Natürlich hängt dies stark von der Art der Arbeit ab. Aber unbestritten ist, dass sich dies negativ auf die Leistung des Arbeitnehmers auswirken wird. Wenn ein Arbeitgeber daher vor der Wahl steht, einen von zwei Arbeitnehmern zu entlassen, kann auch der Gesundheitszustand unter anderem einen Einfluss haben. Insgesamt übt dieser Faktor i.d.R. einen eher geringen Einfluss auf die Entscheidungsfindung aus.

Netzwerk und Beziehungen mit Kollegen

«Soft Skills» zählen zu den wichtigen Kriterien bei der Anstellung von neuen Mitarbeitern. Wenn Kollegen im Team gut mit Meinungsverschiedenheiten umgehen können, trägt das zur Steigerung der Arbeitseffizienz bei. Die Praxis, dass die Geschäftsleitung Feedback von Arbeitnehmern über ihre Kollegen sammelt und bei weiteren Entscheidungen einsetzt, ist heutzutage keine Seltenheit.

Kommunikation mit Managements

Zwischenmenschliche Beziehungen sind selbst während der fortschreitenden Digitalisierung von grosser Bedeutung. Wie bereits erwähnt wurde, gelten sie manchmal als entscheidender Grund für eine deutlich höhere Entlassungsrate bei Fernarbeitern. Grundsätzlich haben diejenigen Arbeitnehmer, die bessere Beziehungen zum Management aufgebaut haben, geringere Chancen, entlassen zu werden.

Fazit

Die Liste der Einflussfaktoren ist nicht nur auf «Branche», «Berufserfahrung», «Arbeitsformat» und die anderen Faktoren beschränkt, die oben aufgeführt sind. Sie tragen zwar hauptsächlich zum Entlassungsrisiko bei, jedoch spielen gelegentlich auch weitere Faktoren eine nicht unwesentliche Rolle. Die Entscheidung darüber, welcher Faktor letztendlich ausschlaggebend ist, trifft letztlich der Entscheidungsträger. Daher beruht die Abschätzung des Risikos, entlassen zu werden, oft auf der subjektiven Beurteilung einer konkreten Situation. Nichtsdestotrotz kommt die folgende Segmentierung der Parameter je nach Einflussstärke häufig in der Praxis vor.

Einfluss der jeweiligen Faktoren auf das Risiko, entlassen zu werden

Möchten Sie zukünftig über das Thema «Stellenabbau» in der Schweiz auf dem Laufenden bleiben? Schauen Sie sich unseren Job Cuts Tracker an, der die aktuellsten Daten zu den Entlassungen in der Schweiz übersichtlich darstellt.

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